Lehrkunst

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Wagenschein-Präsentation: Willi Eugster

Wie kommt die Lehrkunst in die Schule?

oder

Wie kommt die Schule zur Lehrkunst?

Manche Dinge brauchen Zeit!

Ungläubig schüttelte ich den Kopf, als mein Didaktiklehrer am Lehrerseminar erzählte: Jeder Lehrerstudent und jede Lehrerstudentin müssten ein- bis zweimal eine Unterrichtseinheit ganz intensiv und in jede Ecke leuchtend durchdenken. Einmal müsse man den ganzen Weg zurücklegen und man dürfe sich keine Abkürzungen erlauben. Ich war damals auf die Optimierung ausgerichtet. Die Perfektion oder anders gesagt die letzten Prozente interessierten mich nicht. Von Wagenschein hatte ich schon damals gehört.

Zwanzig Jahre später war ich Rektor an der Kantonsschule Trogen. Junge Menschen wollten unbedingt ans Gymnasium. Kaum waren sie dort, richteten sie einen grossen Teil ihrer Energie und Kreativität im Vermeiden dessen, was sie zuvor unbedingt gesucht hatten. Minimieren des Aufenthalts an der Schule. Eine Stunde früher als im Plan vorgesehen nach Hause fahren ist ein Erfolg. Eine Prüfung verschieben ist immer gut. Den Stoff reduzieren erleichtert das Leben.

Kennen Sie auch Jugendliche, welche Lernprozesse auf diese Weise optimieren?

Zum Glück stellte ich bald einmal fest, dass ich nicht der einzige Rektor war, der sich an derartigen Optimierungsprozessen störte. Wir beschlossen, etwas zu tun und gründeten die Arbeitsgruppe Schulklima. Wir müssen die Schule so gestalten, dass die Lernenden sich darin gut fühlen!
In der Arbeitsgruppe kreierten wir Ideen, brachten diese in unsere Lehrerkonvente, probierten aus und tauschten uns über die Erfahrungen wieder aus.

Tun Sie sich auch mit anderen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Geben Sie die besten Ideen weiter. Wenn der Kollege mit Ihrer Idee bessere Resultate erzielt als Sie, dann mag Sie das. Er, der andere, hat die bessere Umsetzungsidee gefunden. Jetzt sind Sie so richtig gefordert. Jetzt wollen Sie es zeigen. Auf diese Weise entsteht ein gesunder Wettbewerb. Jetzt sind Sie kreativ. Selbstzufriedenheit generiert nur Faulheit!

 An unserer Schule fand ich gleichgesinnte Lehrpersonen, welche mich in dem damals ungeheuren Ansinnen, eine einwöchige obligatorische Weiterbildung in pädagogischen Fragen durchzuführen, unterstützten. Wir bewegten uns und insgesamt fanden wir Gefallen daran. Wir führten neue Unterrichtsgefässe ein, z. B. Blockwochen, wir erklärten einige Wochen zu prüfungsfreien, pardon stressfreien! Wochen, Lernende unterrichteten Lernende und die Lehrpersonen durften in die Rolle der Lernenden schlüpfen.

 Das war echt spannend. Die stressfreien Wochen – diesen Namen würde ich nie mehr wählen – waren vor Weihnachten. Mit stressfrei meinten wir: keine Prüfungen. Den Lernenden hat’s gefallen. Mütter erzählten mir ganz begeistert, dass sie wunderbare Vorweihnachten gehabt hätten. Endlich hatte die Tochter Zeit für das Weihnachtsgebäck, für die Geschenke usw.
Diese Übung führten wir nur einmal durch. Es gab aber bessere Ideen, z.B. die Themenwochen. Beibehalten haben wir auch die obligatorischen, internen Weiterbildungen zu allgemeinen didaktischen Fragen.

Natürlich gab es auch Schwierigkeiten und wie? Wir wollen endlich wieder Ruhe. Wir wollen uns auf das Kerngeschäft – ganz normaler Unterricht – konzentrieren. Irgendwann löste sich die Dichotomie Sonderveranstaltungen versus Normalunterricht wieder auf.
Warum? Mehr und mehr wendeten sich die Lernenden wieder der Schule zu. Sie arbeiteten mit ihren Lehrpersonen auch in der Freizeit, z.B. um sich auf Wettbewerbe vorzubereiten. Die jährlich widerkehrenden grossen Konzerte oder Theaterveranstaltungen konnten auch am Wochenende aufgeführt werden. Die Lernenden sind wieder da.

Warum erzähle ich diese Geschichte? Der Same, wenn er denn aufgehen soll, muss auch auf den richtigen Boden fallen. Der Lehrstückunterricht nach dem didaktischen Modell von Wagenschein und Berg ist sehr anspruchsvoll. Lehrpersonen müssen ihre rollenbedingten Verhaltensschemata stark erweitern können.

Ungefähr 2003 haben wir den Kontakt mit Christoph Berg und seiner Gruppe aufgenommen. Zum ersten Kontakt schickten wir den Lehrer für Bildnerisches Gestalten Werner Meier. Er präsentiert zusammen mit Hans Aeschlimann das Lehrstück Alpstein. Werner Meier kam begeistert zurück. Darauf präsentierten wir die Lehrkunstdidaktik der Schulleitung. Auch hier war einhellige Begeisterung. Damit konnten wir es in die Lehrerschaft wagen. An einer internen Weiterbildung präsentierten Berg und andere Lehrstücke. Wir täuschten uns nicht. Sofort meldete sich ein Dutzend Lehrpersonen und bald konnten wir die Werkstatt starten. 

Das Resultat sehen Sie auf dem Bild. Jedes Piktogramm steht für ein Lehrstück. Über alle Fächer hinweg ist ein Lehrstück inszeniert worden. Die dahinter steckende pädagogisch-didaktische Auseinandersetzung der Lehrpersonen unterschiedlicher Fachrichtungen verändert den Unterricht ganz allgemein. Lehrende lernen voneinander. Lehrende und Lernende überwinden Distanzen. Sie vertrauen sich gegenseitig. Der beste Beweis waren für mich die Ergebnisse der Qualifikationsprozesse, welche wir periodisch mit den Lehrpersonen durchführen müssen. In einer anonymen Befragung nehmen die Lernenden zur Arbeit der Lehrpersonen Stellung. Die sehr positiven Beurteilungen und der hohe Grad an Übereinstimmmung zwischen den Aussagen der Lehrpersonen und jenen der Lernenden stimmen sehr optimistisch. Hier geschieht etwas Wichtiges.
Ein Lehrer unserer Schule sagte einmal: "Noch nie habe ich mich in dem, was ich als Lehrer schon immer sein wollte, so ernstgenommen gefühlt, wie in der Erarbeitung und Durchführung von Unterricht mit Lehrstücken."
Lehrstückunterricht benötigt Zeit, viel Zeit. Es ist eine Investition.

Meine Damen und Herren, für mich ist Schule unverzichtbar mit Unterricht verbunden. Gemeint ist aber guter Unterricht. Guter Unterricht ist nicht beliebig. Er orientiert sich an wichtigen Themen, welche für unsere Kultur und unser Zusammenleben bestimmend sind. Ich bin gegen das heute leider oft wahrnehmbare „Jekami“. Lehrstücke sind ein kleines Kulturarchiv.